I.
Was macht die EU da gerade und warum? Die Europaabgeordnete Özlem Demirel, die dieses Mandat für die Linkspartei innehat, antwortet: Der Union gehe es »um knallharte Kapitalinteressen. Sei es mittelbar durch Einflusssphären und Handelsrouten, oder unmittelbar um Marktanteile und Ressourcen«. Der Unterschied zu den USA unter Trump bestehe lediglich darin, dass dieser es »unverhohlen ausspricht«, während »die Europäer« ihre Motive »noch zu verschleiern« versuchten.
Stephan Kaufmann sieht den »Zweck der europäischen Aufrüstung« dagegen in der Stellung der EU als »Imperium zweiter Klasse« begründet: Trump weise »Europa eine neue Rolle als Erfüllungsgehilfe« zu, »das bringt Europas Regierungen in die Klemme. Auch ihre Wirtschaften sind abhängig von einem offenen Weltmarkt, dessen Bestand sie ohne die USA nicht garantieren können.« Die Erhöhung der Militärausgaben werde zwar »als eine Art Emanzipation Europas, als Unabhängigkeit von den USA« inszeniert, in Wahrheit kämen die Staaten der EU »den Forderungen Trumps nach ›Lastenteilung‹ innerhalb der Nato nach«. Ziel sei, »das europäische Gewicht innerhalb der US-Weltordnung zu stärken«, »Weltmacht ist Europa nur als Teilhaber der US-Macht«.
Michael Jäger kommt unter Verweis auf die »berühmte Fernsehübertragung des Treffens im Weißen Haus« zu dem Schluss, »was Politiker in Europa« tatsächlich »aufregt«, sei die Tatsache, dass Trump »vor dem Dritten Weltkrieg warnte«. Dessen »Vorschläge zur Beendigung des Ukrainekriegs sind gewiss nicht optimal«, aber »die Kriegsstimmung« würde Macron anheizen. Zwar müsse die EU »zur Trumpzeit« selbständig handeln, »aber das heißt nicht Brücken abbrechen, die atslantische am wenigsten«. Wenn nun behauptet werde, »die EU sei militärisch zu schwach, heißt das Aufrüstung auch gegen die USA. Das darf nicht sein.« Man dürfe sich »mit einer imperialistischen EU, die um die Aufteilung der Welt mitspielt« nicht identifizieren.
Drei aktuelle und recht wahllos ausgesuchte, in der Substanz ganz unterschiedliche Äußerungen aus unterschiedlichen Ecken des linken Feldes. Ihr gemeinsamer Dreh- und Angelpunkt ist die Ansicht, die außen- und sicherheitspolitischen Entscheidungen dieser Tage in Berlin und Brüssel seien in der einen oder anderen Weise »imperialistisch« mindestens aber »weltmachtpolitisch« motiviert. Aber was heißt das denn?
Man wird in ihrem Platz begrenzten Zeitungstexten nicht vorwerfen wollen, den zentralen Begriff im Vagen zu lassen. Aber als was genau man »Imperialismus« ansieht, kann ja schon recht unterschiedlich sein, was dann auch dazu führt, dass der Begriff ganz unterschiedliche Kritiken tragen kann.
Recht wahrscheinlich ist nicht – nehmen wir mal zum Beispiel: das Schumpetersche Verständnis gemeint, der im »Imperialismus« einen irrationalen, atavistischen Rückfall in vorkapitalistische Verhaltensweisen sah, weil er meinte, »der Kapitalismus ist von Natur aus antiimperialistisch«. Eher schon geht es in Richtung Max Weber, für den »der ›imperialistische‹ Kapitalismus« schon immer »die normale Form der Wirkung kapitalistischer Interessen auf die Politik« und mit diesen »des politischen Expansionsdrangs« war. Das ist marxistisch inspirierten Analysen ähnlich, aber auch unter denen herrscht ja eine große Vielfalt.
Jan Otto Andersson gibt im Stichwort »Imperialismus« des »Historisch-Kritischen Wörterbuch des Marxismus« (6,I 2004) einen wunderbaren Überblick im neunseitigen Schnelldurchlauf und eben auch über die »erhebliche Differenzen« innerhalb von sich allgemein der Linken zurechnenden Autorinnen: »Fünf Positionen lassen sich ausmachen:
1. Die Bestimmung des Imperialismus als ›Beherrschung eines Landes durch ein anderes, um das beherrschte ökonomisch auszubeuten‹, unterscheidet deutlich zwischen Imperialismus und Kapitalismus und lässt deren Verhältnis offen. Ein sozusagen defizitärer Kapitalismus‹ bzw. bestimmte kapitalistische Interessen könnten folglich zu imperialistischen Aktionen führen.
2. Der Imperialismus als stadienweise Ausdehnung kapitalistischer Verhältnisse auf vor-oder nichtkapitalistische Teile der Welt: Demnach folgt der Entstehung von Nationalökonomien das Stadium des Kolonialismus und der Schaffung von Einflusssphären, woran sich die internationale kapitalistische Integration, gegen Ende des 20. Jahrhunderts als Globalisierung‹ bezeichnet, anschließt.
3. Eine auf Lenin zurückgehende Konzeption betrachtet den Imperialismus als ›letztes‹ oder ›höchstes‹ Stadium des Kapitalismus, ohne zwischen modernem Imperialismus und Monopol- oder Spätkapitalismus zu unterscheiden.
4. Die in den 1970er Jahren prominent gewordene Dependenztheorie und der Weltsystem-Ansatz bestimmen den Imperialismus als (kapitalistisches) System, das durch eine räumliche Dichotomie zwischen Zentrum und Peripherie charakterisiert ist. Der Kapitalismus tendiere aus sich heraus zum Imperialismus, wenige metropolitane Staaten hätten von jeher schwächere periphere Länder der kapitalistischen Weltökonomie dominiert und ausgebeutet, nur die Formen des Imperialismus hätten sich im Zeitlauf verändert.
5. Schließlich, in Analogie zu den Marxschen Ausführungen zu den äußeren Faktoren der Genesis und Ausbreitung des Kapitalismus und der Entstehung des Weltmarktes in der Kritik der politischen Ökonomie: der Imperialismus als Pionier oder ›Hebamme‹ des Kapitalismus.«
Und das ist nur eine der möglichen und auch eine recht grobe Unterteilung. Die Verästelungen gehen natürlich viel weiter, bis dahin, wie Michael Hardt und Antonio Negri vor rund 20 Jahren meinten, der Imperialismus sei Relikt einer vergangenen, in Nationalstaaten gegliederten Welt, und also »vorbei. Keine Nation kann in dem Sinne die Weltführung beanspruchen wie die modernen europäischen Nationen das taten.«
Andersson hier zitierend erfolgt nicht in belehrende Absicht, sondern aus einer Position der - nun ja, Ratlosigkeit: Man möchte erstens diese Sichtweisen besser (oder überhaupt richtig) verstehen, weil man der materialistischen Pointe ja selbst traditionsgemäß erheblichen Einfluss einzuräumen bereit ist. Welche Interessen haben welche Kapitalfraktionen und warum verdichten sich diese konkurrierenden Motive nun in einer »imperialistischen« Gesamtstrategie, die den Interessen bestimmter Kapitalfraktionen zuwiderlaufen? Inwiefern verhalten sich Imperialismen unterschiedlicher Ordnung und Qualität zueinander, wenn etwa behauptet wird, der europäische könnte nur im Schatten des US-amerikanischen zur Geltung gebracht werden?
Es geht zweitens darum, durch ein besseres Verständnis den Verdacht loszuwerden, dass da bloß mit Parolen gewedelt wird, die zwar den Anschein von kritischer Analyse machen sollen, in Wahrheit aber fragwürdige politische Positionen überdecken. Wohin führt das, die relative Autonomie des Politischen per Federstrich wegzuwischen, indem »Werte« und Fragen regelbasierter Ordnung komplett als vorgetäuschte Lügen abgemeiert werden? Und was ist das für ein Standpunkt, der zwar den »imperialistischen Charakter« der EU geißelt, der – passt der Begriff hier? – imperialistischen Zerstörung der Souveränität der Ukraine recht schulterzuckend gegenübersteht?
Die russländische Aggression ist meist ein Ausgangspunkt für einen Teil der neuen »Imperialismuskritik«. Mitunter gewinnt sie dabei Entlastungscharakter, etwa wenn Putins mehrphasiger Überfall in der Absicht, das souveräne Land zum Verschwinden zu bringen, als eine Notwehr gegen »den anderen Imperialismus« schöngeredet wird. Mag sein, dass eine zweite Ebene der Entlastung dabei wirkt: den moralischen Zwiespalt zu überbrücken, der mit der Absage an eine Unterstützung der Ukraine verbunden sein kann. Dem Opfer nicht helfen zu müssen, bedarf offenbar einer Erklärung, die höherrangig steht, und da kommt so ein starker Begriff eventuell ganz recht: in einem »Stellvertreterkrieg« imperialistischer Mächte ist es natürlich viel einfacher, nicht Partei zu ergreifen.
II.
Eine Perspektive auf den Krieg gegen die Ukraine, die von einer mehrdimensionalen Definition ausgeht, in der das Paradox der nationalen Souveränität unter imperialistischen Bedingungen angesprochen wird, in dem »zeitgenössische Formen und Grade des Imperialismus« ebenso unterschieden werden wie ein mehrschichtiges Regime von nationalen, Block- und planetaren »Grenzen«, hat Étienne Balibar im ersten Jahr der zweiten Phase der russländischen Aggression vorgeschlagen – nicht zuletzt, um Partei zu ergreifen »mit und gegen mein eigenes Lager«,
Zuerst im Sommer 2002 bei der London Critical Theory Summer School und dann im November 2022 noch einmal in einem die Lecture fortschreibenden Text wird eine eigenständige Linie ausbuchstabiert. In den »Blättern« erschien im August 2022 eine Übersetzung des ursprünglichen Vortrags. Außerdem hat das »Philosophie Magazin« einen Briefwechsel Balibars mit Christoph Menke dokumentiert (hier und hier), in dem es um die - von Balibar abgelehnte - Unterstützung eines im Sommer 2022 lancierten Appells geht, in dem ein sofortiger Waffenstillstand gefordert wurde. Etwa zu dieser Zeit beteiligte sich Balibar an einem Gespräch mit Silvia Federici, Michael Löwy und Marcello Musto über die »Wirrungen imperialen Aufrüstens, legitimer Selbstverteidigung und neuer Blockkonfrontation«. Aus diesen Texten stammen die folgenden Zitate, die eine Art »Linie Balibar« bilden.
Den Krieg analysiert Balibar dabei zuerst hinsichtlich unterschiedlicher, miteinander verwobener Eigenschaften. Es handele sich erstens um einen »aufgeschobenen nationalen Unabhängigkeitskrieg«, der zweitens »Beispiel für einen postsozialistischen Krieg« ist, also »seinen Ursprung im Zusammenbruch der kommunistischen Regime in Europa« hat und von der »Unfähigkeit« der postsozialistischen Regime künde, »eine Lösung für die von den Imperien geerbte ›Nationalitätenfrage‹ zu finden. Damit spiele sich in der Ukraine drittens »eine neue Episode des europäischen Bürgerkriegs« ab, der 1914 begann, dessen Ende 1989 zwar ausgerufen, aber nicht eingetreten sei.
Viertens handele es sich »um einen globalisierten Krieg oder einen ›im Prozess der Globalisierung‹«, in den »nach und nach mehrere Regionen der Welt mit ihren Bevölkerungen und Staaten in einer im Wesentlichen asymmetrischen Verteilung hineingezogen werden«. Hier bemüht auch Balibar den Begriff »Stellvertreterkrieg«, betont aber mehr die (vor allem ökonomischen) Auswirkungen des Ukrainekriegs auf die Länder des »globalen Südens«, weshalb er auch von einem »totalen, hybriden Krieg« spricht: Es gebe viele Staaten, die sich »im Krieg« befänden, ohne offiziell darin involviert zu sein. Hinsichtlich Russlands geht Balibar fünftens von einem »Kolonialkriegs unter einem nuklearen Schirm« aus, mit dem der Gegner zu Beschränkung gezwungen werde.
Für Balibar hat »die Unterstützung des Kampfes des ukrainischen Volkes, das seine Forderung nach nationaler Unabhängigkeit zum Ausdruck bringt, unmittelbare Priorität«, sie komme »von ganzem Herzen, aber sie ist nicht blind für ihre Bedingungen und Auswirkungen«. Hier spielt er vor allem auf die Dimension des Nationalismus an, eines der Lebensthemen von Balibar: »Das verhängnisvolle Wort steht wieder einmal im Mittelpunkt des europäischen politischen Raums, mit seiner Prozession von Morden, Intoleranz und Ausgrenzungen.« Balibar sieht die aktuelle Phase der ukrainischen Nationwerdung aber als offen für progressive Formen an. Die sie überwölbende Erzählung »erzeugt und untermauert eine Vorstellung von Staatsbürgerschaft als Teilhabe am öffentlichen Raum, die sich von der Zugehörigkeit zur ethnischen Gemeinschaft unterscheidet oder diese überwinden kann.« Dies bleibe auch dann ihr bestimmendes Moment, wenn man die »sektiererischen Konflikten«, die Bedrohung von der Seite (rechtsradikale Kräfte) und oben (Oligarchen) einbeziehe.
Hier kommt dann aber das »Paradox der nationalen Souveränität« ins Spiel: »Nationen, die um ihre Unabhängigkeit kämpfen, insbesondere wenn sie es mit einem Imperium oder einem politischen System zu tun haben, das die Form eines alten Imperiums wieder aufleben lassen will, haben als Hauptziel die Anerkennung und Achtung ihrer Souveränität. Daher das Beharren auf der territorialen Integrität, der Freiheit der diplomatischen Entscheidung usw. Aber jede Souveränität ist in Wirklichkeit begrenzt, selbst für mächtige Nationen und erst recht für ›kleine‹ Nationen, denn in der heutigen Welt beruht sie auf dem Vorhandensein von ›Garantien‹ und somit von Bündnissen, die mit Zwängen verbunden sind.«
Für Balibar lag damals schon »auf der Hand, dass die Ukraine keine Chance hat, sich als stabiler und zukunftssicherer Nationalstaat zu verteidigen und zu etablieren, wenn sie nicht in ein duales supranationales System eingebunden ist.« Das heiße, »die einzige denkbare Form der Unabhängigkeit besteht heute in der Unterwerfung unter eine Instanz, die größer ist als die Nation«. Diese Instanzen würden zwar »heute von antagonistischen Kriegsmaschinerien kontrolliert«, es bestehe aber »eine klare Asymmetrie zwischen den beiden Perspektiven« für die Ukraine: »die des gewaltsamen und revanchistischen Wiederaufgehens in einem autokratischen und rückwärtsgewandten Imperium und die des Festhaltens an einer Föderation, die zwar alle möglichen nationalen, sozialen und kulturellen Ungleichheiten perpetuiert, aber verhandelbare Beteiligungs- und Austrittsregeln beinhaltet.«
Für Balibar zeigt sich daran zudem »die Notwendigkeit einer großen Debatte über die zeitgenössischen Formen des Imperialismus, eines Begriffs, der nichts von seiner Aktualität verloren hat, dessen Inhalt aber nicht auf die Geografien und Kräfteverhältnisse des 20. Jahrhunderts beschränkt bleiben kann«. An anderer Stelle betonte er, diese Debatte müsse auch »eine Unterscheidung zwischen den von« den jeweiligen Formen des Imperialismus »auferlegten Formen der Unterwerfung« beinhalten.
Balibar kommt zu seiner Position, die »keine Schlussfolgerungen«, aber Parteinahme ausdrückt, aus einer Verbundenheit mit »der prinzipiellen pazifistischen« Tradition. »Aber heute ist der Pazifismus zwischen widersprüchlichen Forderungen gefangen, insbesondere auf dem europäischen Kontinent, wie es auch in anderen Konflikten der Fall war, in denen grundlegende Menschenrechte auf dem Spiel standen.« Der Internationalismus »erscheint auf tragische Weise entwaffnet«. Er, so Balibar, »sehe keine andere unmittelbare Perspektive als eine der ›Einheit der Gegensätze‹, in der Hoffnung, dass sie sich dialektisch entwickeln wird.« Balibar warnte davor, das Putin-Regime als Verkörperung eines »imperialen Wesens« der russischen Bevölkerung anzusehen, warb für aktive Solidarität mit den russischen Dissidenten, plädierte für Kampagnen gegen nukleare Abrüstung und die Militarisierung unserer Gesellschaften, für den langen Marsch hin zu »einer internationalen Ordnung, in der Interessen im Vordergrund stehen, »die die gesamte menschliche Gattung vereinen«.
Dies ist der planetare Aspekt in Balibars Perspektive, eine, bei der er Bruno Latours Hinweis aus dem Frühjahr 2022, dass derzeit zwei Kriege gleichzeitig geführt werden, die voneinander unabhängig sind: der Krieg gegen die Freiheit der Ukrainer und der Krieg gegen die Erde als lebendiges System, noch zuspitzt: »Ich denke, dass diese beiden tendenziell zu einem ›verallgemeinerten‹ Kriegszustand im ›hybriden‹ Sinne verschmelzen.«
III.
Dieser Punkt könnte mit Trump geopolitischem Bruch erreicht sein. Statt in diesem, wie Jäger es tut, verkrampft den Atomkriegs-Mahner und Friedensbringer sehen zu wollen, lässt sich das Agieren in einem anderen Zusammenhang vielleicht sinnvoller deuten. An anderer Stelle war das hier schon Thema: Der Gehalt der globalen Auseinandersetzungen ist natürlich nicht nur, aber vor allem in der Konfliktstellung »fossil versus solar« zu sehen. Eine der Säulen von Trumps rechtsradikalen Machtbündnis ist ein Fossilismus, in dem die Interessen des in Öl- und Gas-Kapazitäten gebundenen Kapitals mit ultralibertärer Marktfreiheitsideologie und einer technofeudalistischen solutionistischen Mentalität zusammenfinden. Russlands Aggression ist die einer absteigenden fossilistischen Macht, deren extraktivistisches Reproduktionsmodell mit fortschreitender globaler Dekarbonisierung an ihre Ende zu kommen droht. Der Wechsel auf ein alternatives Entwicklungsmodell ist nicht nur mühsam, sondern mit dem oligarchisch-autoritären Herrschaftsmodell Putins unvereinbar. Stattdessen werden neue extraktivistische Optionen geraubt (Rohstoffe in der Ukraine) und neue fossilistische Allianzen gesucht bzw. befördert. Das heißt auch, Einflussnahme auf die Politik anderer Staaten mit dem Ziel, dort fossilistische Kräfte zu stärken, um im eigenen Interesse Politiken der Dekarbonisierung zu stoppen oder zu verlangsamen.
Auch die Vorgeschichte des Konflikts, der jetzt als russländischer Eroberungsfeldzug schon im dritten Jahr läuft, verdeutlicht seinen Charakter als »Energiekrieg« (Wolfgang Blau). Spätestens seit 2005 setzte Moskau seinen Gasexport als politischen Hebel gegen die Ukraine als Importeur und als Transitland ein. Lieferstopps seitens Russlands erhöhten in Westeuropa die Bereitschaft, sich in Abhängigkeitsprojekte wie Nordstream zu begeben, die maßgeblichen Verträge für die erste Ostsee-Pipeline wurden sicher nicht zufällig auch 2005 unterzeichnet. Auch die ukrainische Seite engagierte sich in diesem Konflikt: mit Nichtzahlungen, Abzweigungen, Gasblockaden. Der »Russisch-ukrainische Gasstreit« zog sich auch weiter, als Moskau die Krim annektierte, vor deren Küste nicht erschlossene Öl- und Gasvorkommen liegen, und den Donbass besetzte, einen Hotspot wertvoller Bodenschätze wie unter anderem Lithium, Kobalt, Titan und Seltene Erden.
Hier könnten denn auch Ansatzpunkte für so etwas wie einen »neuen Antiimperialismus« zu finden sein, der nicht nur nach den jeweils »auferlegten Formen der Unterwerfung« unterscheidet, sondern auch nach dem stofflichen Charakter der Entwicklungsmodelle. Jürgen Trittin, den Jäger offenbar »erschreckender« findet als Trump, hat diesen Punkt dieser Tage wenigstens nicht ausgelassen. Man wird nicht alles teilen müssen, was der Oldie der Linksgrünen da für Europa nach dem »Ende des Westens« vorschlägt. Hier aber trifft er einen wichtigen Punkt: »Putin und Trump wollen Deutschlands über eine Wiederinbetriebnahme von NordStream wieder in Abhängigkeit von russischem Gas zu bringen – nur dass diesmal zwei Autokraten am Gashahn sitzen sollen. Das gilt es zu durchkreuzen. Deshalb muss die Dekarbonisierung nicht gebremst, sondern beschleunigt werden. Wir müssen schneller auf E-Mobilität umsteigen, zügiger aus Kohlestrom und Gasheizungen aussteigen. In die Verringerung unserer Importabhängigkeit durch beschleunigte Energiewende muss verstärkt investiert werden.«
Dass auch bei einem solchen Entwicklungsregime »knallharte Kapitalinteressen« im Spiel sind, es um »Marktanteile und Ressourcen« geht, ist richtig. Und man muss auch Linken nicht zumuten, die Position zu vertreten, dass sich ein solches, im planetaren Rahmen substanziell anderes Entwicklungsregime im Zweifelsfall gegen die fossilistische Reaktion verteidigen können muss. Aber es könnte sich als hilfreich erweisen, die Debatte über aktuelle geopolitische Verschiebungen und ihre Folgen etwas stärker an der übergeordneten, planetaren Konfliktachse auszurichten.