In der TAZ spricht Sven-Christian Kindler über Politik als Beruf und Berufung, die Vereinbarkeit von Mandat und Familie - und über das, was er auch in 15 Jahren Bundestag nicht geschafft hat: »Ich habe mich lange für Mitte-Links-Bündnisse mit SPD und Linken engagiert. Dafür sehe ich heute realistisch keine Perspektive im Bund – weil die Mehrheiten weit weg sind und weil es nicht mit dieser Linken geht, die die fundamental neue Sicherheitslage in Europa mit dem Kriegsherrn Putin bewusst verkennt.«
Kindler war Gründungsmitglied des Instituts Solidarische Moderne, das sich kurz nach seinem erstem Einzug in den Bundestag für die Grünen aufgemacht hatte, um »Grenzen zwischen gesellschaftlichen Teilbereichen« zu überwinden »und gemeinsam an linken Ideen für eine solidarische Gesellschaft von morgen« zu arbeiten. Das war vielleicht bisweilen von den Medien mehr als Vorbereitungsprojekt der Option Rot-Rot-Grün angesehen worden, als es von den Mitstreitern gedacht war. Aber die Mehrheiten, von denen im ISM die Rede war und weiter ist, sollten durchaus auch gestaltungswirksam werden, was in Parlamenten seine größte Kraft entfalten kann. 15 Jahre später sind viele Hoffnungen auf den Kurs der einen oder anderen Partei verflogen, auch solche über tatsächliche Politikmöglichkeiten und die Kraft gesellschaftlicher Richtungsarbeit, auf deren Unterstützung parlamentarische Veränderung angewiesen ist. Und ja, hm: Die Zeiten haben sich geändert, mindestens insofern, als dass »progressive« Politik und Linksreformismus sich unter der politischen Physik des Planetaren Paradigmas bewähren und dabei zugleich die blockierten Transformationskonflikte der Polykrise bearbeiten muss.
Nicht nur in der TAZ finden sich Spuren von Resthoffnung: »Passender und progressiver« in diesen Zeiten »wäre ein Bündnis aus SPD und Grünen und möglicherweise sogar plus Linkspartei, die in vielem ähnlich tickt.« Kommt da noch was zustande Mitte-Links? Oder ist das die falsche Frage? In der Linkspartei ist derzeit zu beobachten, dass eine Generation von Jüngeren die alten Debatten noch einmal aufführt: Regierungsbeteiligungen erscheinen dem sehr an Schlagworten wie »Arbeiterklasse« und »sozialistische Partei« interessierten Spektrum vorrangig als Problem von Karrierismus, »Verbürgerlichung«, Ablenkung vom »Antikapitalismus« und so fort. Im Grunde eine seit Ende des 19. Jahrhunderts vertretene Position. Anachronistisch ist sie aber nicht aufgrund von Altersschwäche, sondern der weitgehenden Ausblendung empirisch erfassbarer Veränderungen in der Gesellschaft, auf die politisch zu reagieren wäre, und zwar unter Maßgabe der veränderten Rahmensetzungen, Stichworte: »Planetares Paradigma« und »blockierte Transformationskonflikte«.
Die Frage, ob hier »das Richtige« stattdessen eher von SPD und Grünen zu erwarten ist, würde aber auf eine falsche Fährte führen. Auch eine solche Perspektive fragt bloß nach Möglichkeiten von gestern. Denn das, was als tiefgreifende Veränderung des Parteiensystems beschrieben und am Aufstieg von (vor allem wohlstandschauvinistischen, nationalpopulistischen) Formationen AfD und BSW zu beobachten ist, hat nicht nur seine andere Seite - die bisher eher kleinen tektonischen Verschiebungen auf der links-grünen kontinentalen Platte: Austritte bei der Grünen Jugend, Strategiewechsel bei der Letzen Generation, Suchbewegung im Feld zwischen Linkspartei und Grünen, um nur einige Beispiel zu nennen. Dieses Form-Substanz-Problem besteht auch nicht erst seit gestern, starke Richtungsdifferenzen finden sich in den Parteien, nicht nur zwischen ihnen. Nicht immer werden diese so groß, dass die Spannung nur durch Abspaltung gelöst werden kann. Und wenn das doch einmal geschieht, siehe Linkspartei und BSW, wird man bemerken, dass gar nicht alle Richtungsdifferenzen in der Formation aufgelöst wurden. Die jüngste Spielerei der »Zeit«, die ein »neues Parteiensystem« anhand weniger Einstellungspositionen konstruiert hat, mag empirisch ziemlich dünne sein, politisch liegt darin aber recht viel Wahrheit, oder besser: potenzielle Wahrheit. Wie würden die Debatten aussehen, wenn sich die Diskussionen über mögliche Gestaltungsmehrheiten zwischen der Ökosozialen Partei, den Sozialliberale und Moderaten abspielen würden?
Zurück zum Wahlkampf der alten Formationen, welcher wie eine eiserne Zange der Disziplinierung wirkt, was mit Blick auf die Stimmenmaximierung nachvollziehbar, mit Blick auf die Auflösung von Richtungsdifferenzen aber ungünstig ist. Wenn der SPD-Vorsitzende die Grünen dafür rügt, sich an den Hals der CDU zu werfen, ist das kaum mehr als Pfeifen im Walde. Nicht nur die Sozialdemokraten sollten verstehen, dass aus Wahlforschungssicht die Mobilisierung gegen die Grünen »ausgereizt« ist. Dass der Gründer der Klimaunion in der CDU gerade zu den Grünen gewechselt ist, ist eine andere Nachricht aus diesen Tagen. In ihr steckt immerhin die Frage, welche Formation am ehesten »den Pol des 1,5-Grad-Zieles« besetzen könnte - wo dieser doch realistisch betrachtet derzeit unbesetzt ist.
Beim ISM hat man die Hoffnung auf gesellschaftlichen Druck gerichtet, auf die Durchsetzung von Konfliktachsen, um die sich politische Auseinandersetzungen zentrieren. »Wie es in diesem Land weiter geht, hängt nicht allein von der Arithmetik der Wahlergebnisse, ja noch nicht einmal davon ab, wer am Ende im Kanzleramt sitzt. Es hat wesentlich auch damit zu tun, was in den kommenden Wochen öffentlich als Probleme definiert, was als wichtig thematisiert und verhandelt wird – und wer das tut.« Und wie steht es da?
Mit unterschiedlichen Forderungen haben SPD, Grüne und Linkspartei Überreichtum weniger und Erschwinglichkeit des Lebens vieler zum Thema gemacht. Die Debatten um Milliardärs- und/oder Erbschaftssteuer gehen weiter (siehe auch hier), ebenso die um Forderungen nach Senkung der Mehrwertsteuer und zum Mietenproblem. Eine den Wahlkampf mitbestimmende Konfliktachse hat sich hier aber noch nicht herausgebildet. Zwar nimmt die »Gegenseite« die Herausforderung an - im Unternehmerlager wird von »kommunistisch-grüner Umverteilung« gesprochen. Aber kaum anzunehmen, dass dies das Thema vieler Familien am Weihnachtsabend war in dem Sinne: »Darum geht es jetzt, sag mir wo du stehst«. In der Alltagswahrnehmung dürfte eher die Konkurrenz zwischen den Parteien hängenbleiben, die da irgendwie ähnliche Forderungen erheben.
Linkenchef Jan van Aken hat in Sachen Mehrwertsteuer jetzt noch einmal nachgelegt und als »Sofortmaßnahmen« die Streichung der »Mehrwertsteuer für Lebensmittel, Hygieneartikel und den öffentlichen Nahverkehr« vorgeschlagen. Der Idee, was immer man davon hält, muss sich bewähren in einem Umfeld, in dem der ÖRR verteilungspolitische Maßnahmen als »Steuergeschenke der Parteien« rahmt.
Linkspartei-Vize Ates Gürpinar sorgt mit dem Vorschlag eines Behördentags für Beschäftigte für einige Schlagzeilen - solche Verpflichtungen »kosten Zeit, die berufstätige Eltern kaum haben«. Daher solle es einen halben freien aber bezahlten Tag pro Monat geben. Das in der Alltagswahrnehmung populäre Bild vom »nicht mehr funktionierenden Staat«, dessen Verwaltung und Gesundheitswesen kaum noch Termine feilbieten, wird hier von einer Seite her adressiert, die wenig dazu sagt, wie »Deutschland wieder funktionsfähig wird«.
Der Aufruf der Linkspartei, zwecks Nachprüfung Heizkostenabrechnungen einzusenden, war insofern erfolgreich, als dass über 1.000 eingingen, rund 200 Unterlagen bisher abschließend analysiert und dabei jede fünfte als fehlerhaft geprüft wurden. Die Betroffen könnten bis zu 15 Prozent ihrer Heiz- und Warmwasserkosten zurückfordern.
Die Thüringer Landtagsfraktion der Linken fordert eine Aufstockung und Erweiterung des im Freistaat erfolgreichen staatlichen Reparaturbonus. Über Elektrogeräte hinaus soll die Förderung auch für Reparaturen an Fahrrädern oder Möbeln gezahlt werden. »Alles, was dazu beiträgt, Müll zu vermeiden und Ressourcen zu schonen, sollte einbezogen werden«, so der Abgeordnete Thomas. Seit 2021 wurden mehr als 30.000 bewilligte Anträge gezählt; im Schnitt werden täglich rund 65 Reparaturen unterstützt.
Die Hamburger Linken beklagen die Kosten einer Führungskräftekonferenz der Hochbahn. Das zwei Tage andauernde Treffen habe fast 200.000 Euro gekostet. Geldverschwendung wird einem der größten öffentlichen Nahverkehrsunternehmen auch an anderer Stelle vorgeworfen, wie unter Berufung auf Linken-Verkehrsexpertin Heike Sudmann berichtet wird.
In der SZ erinnert Heribert Prantl anlässlich des 45. Todestags an Rudi Dutschke: »Über einen Antiparlamentarier, der zum Parlamentarismus fand. Und dessen Erbe fortbesteht.«
Dutschke kommt auch in einem Text des Soziologen Armin Nassehi vor, der sich in der »Zeit« über Musk und Milei Gedanken macht: »Sie reden jetzt wie früher Greta Thunberg«. »Wie die radikalen Linken der 1970er-Jahre nicht an die Reformierbarkeit des Kapitalismus im Kapitalismus glaubten, so glauben die libertären Kritiker des Liberalismus nicht an seine liberale Reformierbarkeit, sondern stilisieren ein Macht kaputt, was Euch kaputt macht. Es ist genau genommen ein anarchistisches Motiv, ein anarchokapitalistisches«.
Im IPG-Journal schaut Nick Malkoutzis auf die Neusortierung der griechischen Linken. »Allein aus Syriza sind in den letzten Jahren vier neue Parteien hervorgegangen«, die scho totgesagte Pasok hat ihren Platz im Parteiensystem zurückerobert. »Während die Sozialdemokraten weiter versuchen werden, die regierende Nea Dimokratia unter Druck zu setzen, geht es für Syriza dagegen in der jetzigen Situation schlicht und einfach ums Überleben. Sowohl für Pasok als auch für Syriza stellt eine weitere Entwicklung eine erhebliche Herausforderung dar: Die wachsende Unzufriedenheit der Wählerschaft führt dazu, dass sich immer mehr Menschen kleineren Parteien zuwenden. Zu den Gewinnern zählen insbesondere die drei rechtsextremen Parteien.«