Heute wird es noch etwas länger als sonst.
Robert Pausch hat die Beobachtung mitgeteilt, »dass strategische Diskussionen mit Tiefe und Substanz derzeit nur innerhalb der radikalen Rechten stattfinden«. Dagegen würden »die Texte von linken, liberalen oder konservativen Intellektuellen, über die alle reden«, fehlen. Auf Kritik an seinem Text, die sich vorderhand dagegen wandte, das intellektuelle Niveau der deutschen Rechtsradikalen zu übertreiben, hat Pausch das Beobachtungsgebiet eingegrenzt: »Die Linke (im weiteren Sinne) hat noch nicht wirklich damit begonnen, den eigenen Hegemonieverlust zu verstehen. Was ist seit ungefähr 2022 geschehen? Woher kommt diese vollumfängliche Defensive? Was ist mit dem politischen Vorfeld passiert? Hält man die eigenen Ideen einfach für so selbsterklärend, gut und wahr, dass man verlernt hat, politisch für sie zu kämpfen? Oder hat man sich die falschen Kämpfe ausgesucht? Und warum spricht über all das kaum jemand öffentlich?«
Dem könnte man nun entgegenhalten: Wer ist da eigentlich mit der erweiterten Linken gemeint? Währt die Defensive nicht schon viel länger? Welche Ideen sind gemeint, welche Kämpfe? Aber der eigentliche Punkt ist ja vielleicht, dass Pauschs Diagnose etwas über eine nicht erfüllte Erwartung sagt: Müsste nicht angesichts der »Gesamtscheiße« (Marx) erhitzt und anhaltend über die Analyse dessen was ist und Wege, Varianten, Strategien diskutiert werden, die über den Stand der Dinge in einem radikaleren Sinne als bisher hinausweisen? Oder wenigstens darüber gesprochen werden, ja auch: strategisch, wie Schlimmeres zu verhindern wäre, irgendwann ist ja auch wieder eine Wahl?
Um es abzukürzen: Die Papierproduktion ist gar nicht so gering. Ob die Diskussion allerdings eine gesellschaftliche Relevanz erreichen kann, die dem Maßstab »über die alle reden« gerecht wird, soll hier nicht beurteilt werden. Zudem hat die folgende Zusammenstellung eine ex-berufsbedingte Schlagseite zur Linkspartei und ihrem Umfeld hin.
Bündnisfragen und »Vaterunser«
Jan Schlemermeyer hat von einem »zentralen Punkt« bei Pausch gesprochen: »Es gibt immer noch keine substantielle strategische Debatte bei den progressiven Parteien.« Ziel und mögliche Partner hatte er schon vor einigen Monaten beschrieben: »Wenn die progressiven Parteien jetzt ihre Hausaufgaben machen, öffnet das die Chance für eine erfolgreiche Auseinandersetzung mit der kommenden Regierung, aber auch für eine progressive Alternative zu Rechtsruck und Weiter-so – spätestens 2029. Wir sollten diese Chance nicht verspielen. Wahrscheinlich gibt es nicht mehr viele.«
Das ist »nur« eine Ebene der Diskussion, die Pausch vermisst, nämlich die, in der es viel um parlamentarische Mehrheitsfindung und Kompromissfähigkeit geht – und die von den Schwächen der aktuellen Konstellation ausgeht. »Dass die Möglichkeiten einer wirklich nachhaltigen Krisenbewältigung mit dieser Regierung ausgesprochen begrenzt sind«, schreibt aber auch Albrecht von Lucke, und zieht daraus den Schluss, dass »es umso mehr auf ein Nachdenken über linke Alternativen ankommt, in ökonomischer, aber auch koalitionärer Hinsicht. Gewiss, bis dahin ist es noch ein weiter Weg, und zwar nicht nur arithmetisch (momentan kommen SPD, Grüne und Linke im Bund nicht einmal auf 40 Prozent), sondern auch inhaltlich.«
Auch hier geht es um »spätestens 2029«. Gelinge es »den drei potenziellen Links-Koalitionären« nicht, vom Nachdenken auch zum Handeln zu kommen, »bedeutet das faktisch auf unabsehbare Zeit eine strukturelle Regierungsdominanz des konservativen oder gar reaktionären Politspektrums«. Wie Pausch beobachtet von Lucke, dass dort »längst, jedenfalls strategisch, über zukünftige Rechtskoalitionen nachgedacht« werde. Dem müsse nun das Mitte-Links-Lager etwas entgegensetzen, einsweiten werde man sich dazu »an eine möglichst konstruktive Arbeitsteilung gewöhnen müssen: sozialdemokratischer Reformismus an der Regierung, grüne Verantwortungsethik aus der Halbdistanz und demokratischer Antikapitalismus von der Linkspartei.«
Nach der letzten Bundestagswahl hatte auch das Institut Solidarische Moderne, das in einer früheren Phase rot-rot-grüner Annäherungsversuche entstanden ist, »Thesen für die gemeinsame Diskussion« vorgelegt. Die »Mosaiklinke« finde sich »in einer mehrfach und grundlegend veränderten Lage wieder. Sie sollte darauf mit einer strategischen Weiterentwicklung reagieren.« Die Krise der liberalen Demokratie (Rechtsruck) wird als »hausgemacht« angesehen, hinsichtlich der Fähigkeit von SPD und Grünen, deren »Angst vor einem Lagerkonflikt« mit Mitte-Rechts zu überwinden, bleiben die Thesen skeptisch. Solange dies so bleibe, »ist ein progressiver Aufbruch auf parteipolitischer Ebene absehbar blockiert.« Zu viel Hoffnung in die Zivilgesellschaft dürfe man auch nicht haben, ungeklärt seien zudem grundsätzliche Fragen: »Was ist der programmatische und strategische Horizont des linken Mosaiks im multipolaren Krisenkapitalismus? Wer gehört heute zu diesem Mosaik und arbeitet in aller Unterschiedlichkeit zusammen? Wo und wie gewinnt dieses Projekt politische Dynamik und Macht?« Fluchtpunkt der Thesen ist ein »sozialer Antifaschismus als Bindeglied«. Damit ist schon der wesentliche Charakterzug der Debatte benannt.
Zum Papier sind bisher einige Kommentare erschienen. Stephan Hebel nimmt die Liberalismusverachtung von links ins Visier und sieht als den »kompliziertesten Punkt: Wir werden nicht umhinkommen, eben jene Verhältnisse gegen den Autoritarismus zu verteidigen, die wir seit Jahren mit guten Gründen angeprangert haben.« Drittens: »Das Ringen um eine mehrheitsfähige Zukunftslinke hat sicher nur dann eine Chance, wenn es auf einer realistischen Einschätzung ihrer aktuellen Minderheitsposition basiert.«
Karoline Otte diskutiert die Kooperationsprobleme direkt auf der Ebene der Parteien. Zwar würden die Sozialdemokraten im Regierungsbündnis mit der Merz-Union Zugeständnisse machen müssen, die von links her auf strikte Ablehnung stoßen. »Es schwächt aber auch das progressive gesellschaftliche Lager insgesamt, die SPD als Partei deshalb insgesamt außerhalb des eigenen Lagers zu verorten. Daraus ergeben sich Fragen für den Umgang von Grünen und Linken mit der SPD, die beantwortet werden müssen.« Eine mögliche R2G-Koalition müsse »sich ab jetzt inhaltlich darauf fokussieren, wie konkrete politische Maßnahmen Vertrauen zurückgewinnen und die Lebensqualität für breite Bevölkerungsteile verbessern können.«
Mario Candeias plädiert stärker für eine »Allianz eines sozialen Antifaschismus« – in Anlehnung an den kurzfristigen Erfolg der französische Front Populaire. »Auch in der Bundesrepublik muss dies der Ausgangspunkt sein – keine Parteienkoalition als Neuauflage von R2G, kein ›Kartell‹ der Parteien«, dazu seien deren Positionen oft »zu gegensätzlich«. Eine »gesellschaftliche Volksfront von unten« stellt sich Candeias als »verbindendes und klassenorientiertes Mitte-unten-Bündnis« vor, »das seine vielfältigen Interessen unter dem Banner eines sozialen Antifaschismus zur Erweiterung einer sozialen und ökologischen Demokratie verknüpft – und ihnen eine Struktur der Organisierung gibt.« Nur wenn eine solche Basis geschaffen werden könne, lasse sich daraus eine Regierungsoption vorbereiten.
Sehr skeptisch gegenüber der Idee einer Volksfront ist Wolfgang Michal, der die »fast schon hysterische Fixierung mancher Linker auf die ›faschistische AfD‹ kritisiert« und nicht davon überzeugt ist, die Rechtsradikalen »stünden kurz vor der Machtübernahme, man müsse sie sofort stoppen.« Dem hielt Andreas Mijic entgegen eine Sammlungsbewegung aller anderen gegen die AfD sei »der richtige und dringend notwendige Umgang mit dieser Partei«. Michal dagegen sieht es für wichtiger an, »Lösungen für tatsächliche Probleme zu finden, anstatt ständig auf die AfD zu starren«, auch sei es falsch, »Probleme als nicht existent zu betrachten, nur weil sie von der AfD ›hochgejazzt‹ werden«. Ein »Volksfront-Bündnis« lehnt Michal als kontraproduktiv ab: »zum einen, weil es die AfD unnötig zur ›einzigen Alternative‹ aufwertet, zum anderen, weil die früheren Volksfrontbündnisse aufgrund ihrer inneren Widersprüche stets gescheitert waren«.
Peter Unfried hat an anderer Stelle argumentiert: Die entscheidende Frage sei, wie eine linke Mehrheit realpolitisch mit Blick auf das Projekt »der emissionsfreien Marktwirtschaft, des komplizierten Handlings der geopolitischen Krisen des 21. Jahrhunderts?« handele. »Antikapitalismus und Antifaschismus seien »keine sachpolitischen Zukunftsprojekte, sondern allenfalls Vaterunser«. Eine Frage also sei, »wer 2029 noch eine Mehrheit gegen die AfD bilden kann. Davor steht aber die Frage: Wozu? Die AfD ist ein Problem, keine Frage, aber sie wird auch benutzt, um von der eigenen Politik- und Zukunftslosigkeit abzulenken.«
Debatte in der Linkspartei
»Das Ziel der Linken sind neue Mehrheiten 2029 und vor allem andere gesellschaftliche Kräfteverhältnisse«, so hat es der Bundesgeschäftsführer der Linkspartei, Janis Ehling, vor einigen Wochen formuliert. Das Ziel wird auch hier einem »faschistischen Momentum« gegenübergestellt, »das den Fortbestand der Demokratie ernsthaft bedroht«: eine »Neue Rechte«, die sich »in dieser Situation für den Pakt mit der konservativen Oberschicht« entscheiden könne. Seine Partei habe »eine klare Aufgabe: eine soziale, antifaschistische und demokratische Opposition zum Zeitgeist zu sein«. Es sei außerdem »klar ist für uns: Wir werden nicht diejenigen sein, die den Rechten erstmals seit 1945 wieder Zugriff auf den Staat geben.«
Zwischen diesen beiden Polen – »Opposition zum Zeitgeist, Zugriff per Mitregieren verhindern« – entfaltet sich der Linkspartei-eigene Strang der Diskussionen: Die ewige Frage »Wie hältst du es mit dem regieren?« wird hier nun neu unter der Maßgabe diskutiert, rechts-rechtsradikale Mehrheiten seien möglich.
Eine längere, augenfällig frustrierte Wortmeldung von Bodo Ramelow steht dabei stellvertretend für die Vergangenheit der durch gravierende Umwälzung der Mitgliedschaft faktisch neu gegründeten Partei. Er plädiert für die Beibehaltung des in der PDS erzielten Konsenses, der als »Strategisches Dreieck« bekannt wurde: »Es bestand erstens aus Protest und Widerstand, zweitens aus praktischer Veränderung im Hier und Jetzt und drittens der Idee eines demokratischen Sozialismus als Perspektive. Es ist diese Verbindung unserer verschiedenen Ansätze, die zum Erfolg führen.« Ramelow sieht die (stets prekäre) Verbindung zwischen diesen Strängen offenbar als gefährdet an: »Was sind wir? Eine Bewegungspartei, oder sind wir eine Partei, die etwas bewegt?«
Dass der Vorsitzende dieser faktisch neuen Partei, Ines Schwerdtner, zu Ramelows Sorgen der Satz einfällt, dieser sei »so ein bisschen wie ein Brief an die Partei von vor einem halben Jahr oder Jahr vielleicht, aber eigentlich nicht die aktuelle Partei«, deutet das Ausmaß der Verwandlung an. Man stelle nun »den Klassenkampf zwischen oben und unten wieder nach vorne. Das ist das, womit wir erfolgreich sind«, so Schwerdtner. Man habe »zu Recht auch ein kritisches Verhältnis zum Regieren, das gerade in der Partei aufgearbeitet wird. Diese Debatte ist richtig«.
Es wirkt hier wohl auch so etwas wie ein generationelles Momentum. Denn dass in der PDS oder späteren Fusionspartei das Mitregieren nicht kritisch aufgearbeitet worden sei, kann man nun auch nicht behaupten. Im Gegenteil, die parteinahe Literatur dazu war immer überwiegend kritisch und dies auch überwiegend in einer Weise, die grundsätzliche, an historischen Beispielen aufgezäumte Zweifel an diesem Teil des »strategischen Dreiecks« bezeugte. Was hingegen nur eher Rande vorkam, war eine kritische Herangehensweise im Sinne einer Evaluierung der konkreten Handlungsprobleme linker Politik in Regierungen mit dem Ziel, es bei nächsten Beteiligungen besser zu machen. Im Umfeld der Grünen hat für das Wirken in der Ampelkoalition gerade Arne Jungjohann eine solche Aufarbeitung vorgelegt.
Die Diskussion in der Linkspartei wird sicher nicht durch Schwerdtners Diktum beendet werden. Sie hatte schon zuvor erklärt, »wir sollten uns als klare soziale Opposition definieren und uns in dieser Rolle verankern«. Auch im Umfeld des jüngsten Bundesparteitags war eine neue Stärke des gestaltungsskeptischen Lagers in der Linken sichtbar, es war viel von Klassenkampf die Rede, die aktuellen Regierungsbeteiligungen wurden scharf abgemeiert.
Benjamin-Immanuel Hoff, ein Vertreter der »Regierungslinken«, hat Ramelows Wortmeldung zum Anlass genommen, »die Notwendigkeit einer konstruktiven Streitkultur in der neuen Linkspartei« anzumahnen, da »sich 2026 in Schwerin, Mainz, Magdeburg und Berlin völlig unterschiedliche Herausforderungen möglicher linker Regierungspolitik stellen«. Er verweist ebenfalls auf die umfangreiche Literatur zu den Debatten über das Pro und Contra linker Regierungspolitik. »Die Klaviatur radikalreformerischer oder revolutionär reformistischer Gestaltungspolitik hat viele Tasten. Und eine überzeugende Melodie entsteht nicht, wenn ein Teil der Tastatur einfach abgeklebt wird. Die Realität ist konkret und hält sich selten an programmatische Leitsätze.«
Auch mit Blick auf Berlin, wo im Herbst 2026 gewählt wird, hat sich Hoff zu Wort gemeldet. Dort hatte dieser Tage eine Umfrage für Aufsehen gesorgt, nach der die Linkspartei derzeit am meisten Zustimmung innerhalb des Mitte-Links-Parteienlagers hat. Entlang von zahlreichen Beiträgen zu sozialen, infrastrukturellen und kulturellen Hauptstadt-Themen zeichnet Hoff gewissermaßen den lokalspezifischen Rahmen für eine Debatte nach, die Pausch für die Republik insgesamt im Sinne gehabt haben mag. Das kann man auch als Plädoyer in einen Landesverband hinein verstehen, der prominente Teile seiner »Regierungslinken« im Zuge der Linksparteikrise bis 2024 verloren hat. Gero Neugebauer hat dem Landesverband unter anderem attestiert, das Thema Wohnen und Mieten ernster zu nehmen als andere. Das ist in Berlin für rund ein Viertel der Befragten das Thema mit der höchsten Priorität.
Sebastian Friedrich hatte zuvor und mit Fokus auf die Bundesebene von der »Gefahr der Establishmentisierung« der Linkspartei gesprochen: »Aufgrund der gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse erscheint vielen in der Linken derzeit die Verteidigung des Bestehenden gegen Rechts die einzige realistische linke Strategie zu sein. Es fehlt eine Perspektive, mit der man aus der Defensive herauskommt, wie man nicht nur reagiert, sondern wieder offensiv eigene Konzepte in den Mittelpunkt stellt, die nicht nur mehr Wohngeld und einen höheren Mindestlohn fordern, sondern das Ziel vor Augen haben, diese Gesellschaft grundlegend zu verändern.«
Peter Behnen diskutiert die nötigen Zutaten für ein »nachvollziehbares Konzept der sozialen Veränderung, das zu einer wirklichen Verbesserung der Lebenssituation der großen Masse der Bevölkerung führt. Nur so wird auch der Rechtspopulismus erfolgreich zurückgedrängt werden können.« Eine solche Reformagenda sei »Aufgabe der progressiver Kräfte«, wobei der Linken die Rolle zufalle, »die Wahlbevölkerung und eventuelle Bündnispartner davon zu überzeugen, dass langfristig eine Strukturveränderung der Gesellschaft hin zu einem demokratischen Sozialismus und einem Marktsozialismus notwendig ist«. Kurz- und mittelfristige Horizonte einer Reformagenda müssten auf langfristige Strukturveränderungen hinauslaufen.
Das innerparteiliche Netzwerk Progressive Linke spricht sich ebenfalls für eine Allianz aus, »die Formierung einer demokratischen und solidarischen Alternative zu anhaltendem Rechtsruck, konservativer Reaktion und gesellschaftspolitischer Stagnation«. Dabei werden bei den potenziellen Partnern erhebliche Probleme wahrgenommen: von der schwachen Zustimmung über die teils blockierten internen Debatten bis hin zum Mangel einer zielgerichteten, strategischen Zusammenarbeit. Besserung erhofft man sich von Impulsen von Außen – von Initiativen, die auf die Parteien mit dem Ziel einwirken, »zur Zusammenarbeit aufzufordern und zu motivieren«.
Zu den im Umfeld der Linkspartei geführten Debatten gehört außerdem eine um die mögliche Rolle eines Linkspopulismus. Kolja Möller erläutert hier »das Muster von Volk und Elite und legt dar, warum Populismus links sein kann, aber oft im Katzenjammer endet«. Auch diese Debatte ist nicht neu, sie läuft seit Jahren, Jahrzehnten. Möller kommt auf drei historische Beispiele zu sprechen, »die deutlich machen, dass es in Zeiten autoritärer Bedrohung nicht nur um die Verteidigung der Demokratie ging, sondern um weiterreichende gesellschaftliche Neuentwürfe«. Von hier aus ergeben sich Brücken zur Debatte um eine »progressive Alternative zum Rechtsruck«. Man kann an dieser Stelle auch auf das kurze Aufflammen einer Diskussion über »Klimapopulismus« erinnern, die sich an einem Text von Linus Westheuser und Johanna Siebert entzündete.
Krunoslav Stojaković formuliert »Eine Kritik des Linkspopulismus«, weil er diesem einen gewinnbringenden Beitrag für eine moderne sozialistische Partei nicht zutraut. »Selbst bei progressiven Autorinnen und Autoren fehlt die letzte analytische Überzeugungskraft beim Versuch, den Linkspopulismus eindeutig zu definieren und vor allem gegenüber seinem rechten Gegenpart strategisch und ideologisch klar abzugrenzen«. Mit Blick auf Möllers »ideengeschichtlich sehr anregende Veröffentlichungen« bleibt Stojaković kritisch; diskutiert werden von ihm auch frühere linkspopulistische Bemühungen in der Linkspartei, Wagenknechts Richtungswechsel und Wolfgang Streecks »nationalistisch inspirierte Spaltung der Arbeiterklasse«.
Weitere recht aktuelle Texte aus dem Linkspartei-Umfeld, die (wenn auch nicht mit Blick auf Pauschs Erwartung geschrieben, sondern eher der gegenwärtigen Selbstverständigung in der neuen Partei dienend) zumindest lose und entfernt doch innerhalb des Rahmens gelesen werden können, in dem sich die Erwartung erfüllen könnte, lassen sich aufzählen.
Harald Erben macht sich von Blochs Tübinger Zeit ausgehend Gedanken »zur politischen Verantwortung in der Demokratie und ihrer Begründung«. Susanne Lang und Robert Maruschke denken über eine strategische Herangehensweise an die Parteientwicklung in der neu gefassten Linkspartei und über ein produktives Verhältnis von Kontinuität und Erneuerung nach. Tim Roschig tut dies ebenfalls und entdeckt »Die Last der Strukturen«, Johannes Feutlinske meint, in der Linkspartei »verschiebt sich der Charakter der Partei – vom ›Apparat mit Gliederung‹ hin zur bewegungsnahen Struktur mit politischen Angeboten. Gleichzeitig müssen aber formale Abgrenzungen von Parteien, zum Beispiel zu Vereinen oder Initiativen, bestehen bleiben.«
Während ein Teil der Texte dem internen, organisationspolitischen Blickwinkel folgt, am Rande aber Aspekte sichtbar werden, die für die von Pausch aufgeworfenen Fragen relevant sein können, blicken andere Autorinnen stärker auf programmatische Pointen… »Wie passen Bedürfnisbefriedigung, Warenproduktion und Rücksicht auf planetare Grenzen zusammen?«, fragen zum Beispiel Rabea Berfelde, Justus Henze, Samia Mohammed und Eva Völpel und sehen die »Zeit für eine neue Debatte um Planwirtschaft« gekommen.
Das ist insofern von Interesse, als dass den Hintergrund aller gedanklichen Orientierungsversuche ja eine Krise übergreifender Ordnung bildet, die existenzielle Dimensionen hat: die biophysikalische Existenzkrise. Mit dem, was hier und da als »Faschisierung« bezeichnet und befürchtet wird, ist sie vielfach verbunden: Der globale »Rechtsruck« ist mit einem reaktionären Fossilismus verknüpft. Die kulturell aufgeladene Angstmache vor Transformationspolitiken wird von rechten Parteien abgeerntet. Die Folgen einer radikalisierten Re-Nationalisierung mindern die ohnehin schon schwach gewesenen Ressourcen kooperativer Problemlösung. Und so weiter.
Hier nun tut sich nun so etwas wie eine Spaltung auf: Denn wenn diskutiert wird, wie hier an Beispielen versucht wird zu zeigen, dann vor allem über soziale, ökonomische Ursachen des »Rechtsrucks« und was dagegen zu tun wäre. Über die Stoffwechselmuster, welche die planetare Krise vertiefen und beschleunigen, wird dagegen (derzeit) weit weniger gesprochen.
Dies womöglich auch, weil darin politische Pointen lauern, die über den gewohnten Horizont der parteipolitischen Formationen hinausgehen, weil sie in Widerspruch zu früheren »Lösungen« stehen. Das sozialdemokratische Modell der Integration im Kapitalismus durch Verteilung von Wachstum steht auf wackligen Füßen. Eine radikale Verteilungspolitik nicht minder, welche die globalen Gerechtigkeitsdimensionen der planetaren Krise nicht hinreichend beachtet. Und der Traum des grünen Kapitalismus ist im Lichte des Wissens um physikalisch-stoffliche Grenzen einer »ökologischen Variante« des Status quo auch zerplatzt.
So kann also Pauschs Frage »Hat man sich die falschen Kämpfe ausgesucht?« um eine Zeitdimension erweitert werden: Wann sind diese Kämpfe falsch geworden? Peter Unfried hat im Zusammenhang mit der – naja, es ist eigentlich noch keine richtige – Debatte um den Begriff »progressiv« darauf hingewiesen, dass wir oft mit inzwischen überholten Antworten konfrontiert sind. Diese mögen zwar in je ihrer Zeit sowas wie Zukunftsgeschichten gewesen sein. Aber: »Nach der Emanzipation des Bürgers (Konservative), des Arbeiters (SPD) und des Individuums (Grüne)«, so Unfried, brauche es nun die Emanzipation vom fossilen Antriebsmodus vergangener Zukunftsgeschichten.
Alex Demirović hat diesen Aspekt in seinem Plädoyer dafür aufgegriffen, »den dynamischen Prozess einer Faschisierung« nicht im Sinn eines zielgerichteten, finalisierten Prozesses zu begreifen, sondern als Konstellationen von Momenten, die kontinuierlich vorhanden sind, »(also Rassismus, Neonazigruppen, Revisionismus, Soldatenkult), aber sie schieben sich nur konjunkturell nach vorn und tauchen dann die anderen autoritären Verhältnisse in ein besonderes Licht.« Demirović plädiert dafür, »von einem autoritären Populismus zu sprechen« – aber er macht einen speziellen, wichtigen Punkt: »Die Grundlage für diese Herrschaftspraxis war die Demoralisierung relevanter Teile des Bürgertums nach der Finanzkrise und die Entstehung einer großen Welle von Protestbewegungen. Erwartet wurde, dass aufgrund dieser Dynamik ein Green (New) Deal zustande kommen könnte. Doch die multiple Krise ist weiter fortgeschritten. In zahlreichen Hinsichten sind Kipppunkte überschritten… Eine notwendige Transformation, die sofort in Gang gebracht werden müsste, wirft, gemessen an den Investitionen, nicht nur zu wenige Gewinne ab, sondern sie wäre auch der Beginn eines Prozesses, der von kapitalistischen Eigentums- und Produktionsverhältnissen wegführte. Die Herausforderungen im Widerspruch von Produktionsverhältnissen und Produktivkräften sind zu groß.« Die Stärkung der »faschisierenden Momente« wird dabei als Versuch verstanden, »die sozial-ökologische Transformation zu blockieren. Die bürgerliche Gesellschaft will von den Ungeheuern, die sie erzeugt, nichts wissen«.
Der Nexus von Planetarem Paradigma und »Rechtsruck« wird hier auch deshalb eingeführt, weil darin die mitentscheidende Frage steckt, als was dieser »Rechtsruck« überhaupt begriffen wird. Pauschs »Hat man sich die falschen Kämpfe ausgesucht?« ist wiederum eng damit verknüpft: Es kommt ja darauf an, wie man die Verhältnisse bestimmt, deren Veränderung man anstrebt. In der hier vorgeschlagenen Erweiterung des Blickwinkels geht es also um die Frage, was dieser »Rechtsruck« eigentlich ist und wie man auf ihn jenseits von Bündnisfragen reagieren sollte: mit welcher Politik?
Faschisierung? Antifaschistische Wirtschaftspolitik?
Raul Zelik meint, »der Prozess der Faschisierung« lasse »sich nicht auf den Aufstieg rechtsextremer Bewegungen reduzieren, die ›Demokratie‹ und ›Rechtsstaat‹ vom Rand her gefährden. Viel plausibler ist, dass es sich um eine Vertiefung bestehender Herrschaftsverhältnisse handelt«. Eine »Voraussetzung für diesen Prozess ist eine gesellschaftliche Mobilisierung, bei der ein Konsens darüber hergestellt wird, dass in Anbetracht eines – meist inneren – Feindes Grundrechte suspendiert werden können. Die Verteidigung ›der Demokratie‹ oder ›der Staatsräson‹ kann bei der Herstellung dieses Konsenses sogar noch erfolgreicher sein als die Anrufung von ›Rasse‹ und Nation.« Vor diesem Hintergrund müsse »man der Vorstellung, bei Faschismus und Liberalismus handele es sich um Antipoden, scharf widersprechen.« Zentrale Treiber der Faschisierung seien »nicht selten die Gewaltapparate des Rechtsstaats selbst: Polizei, Armee, Geheimdienste, Justiz.« Zwar seien solche »Elemente von Faschisierung nicht deckungsgleich mit Faschismus«, trotzdem seien so »grundlegende Fragen« zur »Brandmauer«-Konzeption aufgeworfen: »Ein Antifaschismus, der den vielschichtigen Zusammenhang zwischen bürgerlicher Normalität und Faschisierung nicht erkennt, ist zum Scheitern verurteilt.«
Mario Candeias sieht eine »Faschisierung an der Macht«, bei der »die Dynamik der radikal Rechten den liberalen Konservatismus transformiert und dieser selbst zum Motor der Faschisierung wird«. Rechtsradikale Kräfte treiben »die alten konservativen Parteien in die Radikalisierung und ziehen das gesamte Parteienspektrum nach rechts.« Gefährlich wäre »es stets, wenn gewichtige Kapitalfraktionen die Prozesse der Faschisierung unterstützen oder gar selbst vorantreiben, um ihre Ziele zu verfolgen oder um Krisen zu überwinden.« Dann werden Varianten dieser »Faschisierung« unterschieden: Trumpismus (»eine kleptokratische Lumpenbourgeoisie, die direkt den Staat übernimmt«), »Melonisierung« (Formierung eines eigenständigen Hegemonieprojekts zur Ablösung der dominanten Stellung der Liberalkonservativen im Machtblock) und das Beispiel der Krise des deutschen Exportmodells unter der Merz-Regierung.
Anika Taschke meint, »die AfD agiert längst nicht mehr allein als populistische Protestpartei, sondern zunehmend als strukturierende Kraft der autoritären Formierung« – mit Netzwerken in Sicherheitsbehörden, Justiz und Verbindungen zur völkischen Bewegungen sowie finanziellen Unterstützern. »Gleichzeitig radikalisiert sich die Union«, so Taschke weiter, dieser Prozess werde von einem »konservativen Diskursblock« begleitet, »der mit der scheinbaren Neutralität der ›Mitte‹ arbeitet, aber in Tonalität und Agenda längst auf autoritäre Ordnungspolitik umgeschwenkt ist«. Dagegen müsse »antifaschistische Politik« in Stellung gebracht werden, »das heißt: nicht anschlussfähig an den autoritären Mainstream sein zu wollen, sondern konsequent widersprechen – im Parlament, auf der Straße, im Alltag. Dazu braucht es drei Dinge: Glaubwürdigkeit, Verankerung und strategische Klarheit.« Letzteres läuft auch hier auf einen neuen Antifaschismus-Begriff zu, der nicht als »Zusatzaufgabe«, sondern als übergreifendes Anliegen, als allgemeines Prinzip »aller Politik« aufgefasst wird: »der Sozialpolitik, der Bildungsarbeit, der Wohnungspolitik, der Arbeitskämpfe«.
Das ist im Grunde, was woanders unter dem Schlagwort »antifaschistische Wirtschaftspolitik« diskutiert wird, vorangetrieben nicht zuletzt von Isabella Weber. Der Kerngedanke: Konservative und sozialdemokratische Kräfte hätten auf ihrem Irrweg der Vermarktlichung, der Austerität und der neoliberalen Agenden die sozialen und ökonomischen Grundlagen für den Aufstieg rechtsradikaler Parteien gelegt (soziale Verunsicherung, ökonomische Ängste), denen dieselben Kräfte nun – Stichwort »Normalisierung« – immer weiter nach rechts folgen. »Antifaschistische Wirtschaftspolitik« wird so doppelt begriffen - als Gegenmodell zur Politik der aktuellen Bundesregierung und als soziale Agenda zur Verhinderung »des Rechtsrucks« gleichermaßen: »Die sozialen Spaltungen werden sich vertiefen, eine lebenswerte Gesellschaft für die Vielen rückt in noch weitere Ferne. Profitieren wird davon vor allem die AfD.«
Die Idee wird unter anderen in weiten Teilen der Linkspartei (siehe etwa der Leitantrag zum vergangenen Bundesparteitag) und in deren Umfeld (»Insbesondere die Frustration mit der wirtschaftlichen Misere bildet die reale Basis für das Erstarken der AfD. Denn wenn der Wohlstand sinkt, nehmen die Verteilungskämpfe zu… Jetzt braucht es eine Wirtschaftspolitik, die dem Rechtsruck die Basis entzieht.«) als entscheidender Hebel zur Verhinderung eines rechts-rechtsradikalen Blocks an der Macht angesehen.
Unter linken Ökonominnen wird dasselbe Programm mitunter als »Fair New Deal für Deutschland« bezeichnet, wobei das »Brüning-Argument« (siehe dazu etwa hier Uwe Foullong) etwas zurückgefahren wird: »Deutschland braucht kräftiges und dauerhaftes Wirtschaftswachstum, das bei den Menschen ankommt und die Transformation zu einer nachhaltigen Wirtschaft weiter vorantreibt. Dies ist die zentrale Herausforderung für die künftige Wirtschaftspolitik.« An anderer Stelle ist eine vergleichbare Agenda als »zukunftsfähige Wirtschaftspolitik« bezeichnet worden (»Der Kampf gegen den Rechtsextremismus darf sich nicht auf Brandmauern beschränken. Er sollte sich in konkreten wirtschaftspolitischen Maßnahmen wiederfinden, mit denen Jobs geschaffen, Mitbestimmung gestärkt und Preise stabilisiert werden.«)
Das im Grunde altsozialdemokratisch klingende Panorama an Vorschlägen (Preiskontrollen, Infrastrukturinvestitionen, kreditfinanzierte Gestaltung, Industriepolitik, Wachstumsagenda, Umverteilung) wird unter anderem hier und hier und hier etwas ausführlicher vorgestellt.
Es gibt eine Reihe von skeptischen Kommentaren, oder sagen wir besser: kritischen Ergänzungen. Das Schlagwort sei zwar »griffig, wirft aber auch einige Fragen auf: Wie grundlegend bricht die antifaschistische Ökonomie tatsächlich mit dem Status Quo? Wie müssen wir uns das Verhältnis von Staat und Wirtschaft vorstellen? Gibt es eine antifaschistische Wirtschaftspolitik auch über die staatliche Ebene hinaus? Lässt sich der Rechtsruck hinreichend durch eine vernachlässigte Sozialpolitik erklären und wie verhält es sich mit den ideologischen Aspekten faschistischer Einstellungen und Politiken?«
Für die US-Debatte hat unter anderem Alan I. Abramowitz Einwände formuliert (»It’s Not the Economy, Stupid«). Mit Befunden zu sozial- und wirtschaftspolitischen Einstellungen der AfD-Wählerschaft argumentiert unter anderem Julius Kölzer gegen Verkürzungen bei der Erklärung von Wahlentscheidungen: »Heißt das also, dass von ökonomischer Seite nichts gegen die Popularität rechtsradikaler Parteien unternommen werden kann? Nein – aber es ist kompliziert.«
Solche Wortmeldungen reagieren auch implizit auf eine Sichtweise, die sich im Kern auf die Behauptung stützt, »linke Parteien haben die Arbeiterklasse vernachlässigt«, weshalb sich diese gewissermaßen in sozialer Notwehr rechten Parteien zugewandt habe. Silja Häusermann und Herbert Kitschelt stellen Ergebnisse ihrer Forschungsarbeit dagegen, laut denen »der Niedergang der Sozialdemokratie nicht durch eine Abkehr von alten linken Strategien zu erklären ist, sondern durch das Auftreten neuer Herausforderungen. Forderungen nach einer Rückkehr zu radikaleren, traditionellen linken Programmen dürften daher wenig erfolgversprechend sein. Eine nostalgische Linke, die sich an den 1950er und 1960er Jahren orientiert, würde sich in die politische Bedeutungslosigkeit verabschieden, was auch erklärt, warum viele radikal-linke Parteien so klein bleiben.«
Fred Heussner hat einige Fäden aufgenommen, die vom Knäuel »Antifaschistische Wirtschaftspolitik« ausgehen: das Analyseschema (»dass die Erfolge populistischer Politik auf Wut, Misstrauen und die Erfahrung von Kontrollverlust zurückgeführt werden können«), die Schlussfolgerungen (»ein wirtschaftspolitisches Programm entwickelt, mit dem die Bevölkerungsteile zurückgewonnen werden sollen, die sich abgewandt haben«), deren Unterstützung bis in den wirtschaftswissenschaftlichen »Mainstream«, die Ähnlichkeiten mit den Bidenomics. Als Probleme definiert er: Die ökonomischen Krisenerfahrungen der Subjekte dürften nicht vom gesellschaftlichen Kontext gelöst werden, man könne den »Rechtsruck« nicht auf unmittelbare Effekte der ökonomischen Situation verkürzen; Faschismus lasse sich auch nicht »auf Manipulation und Desinformation allein zurückführen. Leute schließen sich der faschistischen Bewegung an, weil sie daran glauben, sich darin wohl fühlen oder ihre Interessen darin am besten verwirklicht sehen«.
»Das Konzept der ›antifaschistischen Wirtschaftspolitik‹ bleibt ein leeres Versprechen, wenn sie den nationalen Rahmen nicht durchbricht«, haben Sabine Nuss und Michael Heinrich kritisch in die Debatte eingeworfen: »Gegen dieses Vorhaben ist grundsätzlich nichts einzuwenden. Damit das Label ›antifaschistisch‹ aber seinen Namen verdient, wären einige Voraussetzungen nötig.« So sei die »Annahme, dass eine bessere Sozialpolitik und ein höheres Lohnniveau bereits die zentralen Instrumente sein könnten, um der AfD das Wasser abzugraben, … nicht nur zu optimistisch, auch die Analyse greift zu kurz.« Außerdem sei die Perspektive zu sehr auf ein »nationales ›Wir‹« verengt, das nicht nur Klassengegensätze überdecke, sondern auch den Problemnexus von Weltmarktkonkurrenz und Nationalismus zu wenig berücksichtige.
Raul Zelik will mit seinem Einwand gegen eine Verkürzung des »Kampfs gegen Rechts« auf soziale Fragen in eine ähnliche Richtung: Antifa heiße eben nicht nur Wohlfahrtsstaat, »denn die Rechtsextremen in den Kommunalparlamenten von Gera und Greiz sind gewiss keine ›Abgehängten‹, sondern Apotheker, Rechtsanwälte und Immobilienmakler«. Eine kritische Thematisierung zum Beispiel der Vermögensverteilung sei so richtig, wie man dabei nicht bei »der nationalstaatlichen Perspektive« stehenbleiben dürfe. »Soziale Rechte müssen global und grenzüberschreitend ausgebaut werden. Auch wenn es innerparteilichen Sprengstoff birgt«.
Clara Mattei stimmt mit Isabella Webers Forderung nach Preiskontrollen darin überein, dass, »wenn man den Kapitalismus zähmt, indem man beispielsweise die Lebensmittelpreise deckelt, mindert man auch die Verzweiflung«, dies helfe auch gegen den Zustrom von Menschen zu Positionen der Rechten. Nicht einverstanden ist Mattei aber mit dem Begriff »antifaschistischer Wirtschaftspolitik«, insofern der »so verstanden werden könnte, als stellten die liberalen Regierungen der sogenannten Mitte kein Problem dar. Meiner Ansicht nach sind Liberalismus und Faschismus keine Gegensätze, sondern ein Kontinuum.«
Ähnlich argumentiert Ralf Hoffrogge, der gegen Weber argumentiert, »wirtschaftsdemokratische Elemente fehlen ebenso wie die Eigentumsfrage«. »Die bisherigen Konzepte antifaschistischer Wirtschaftspolitik sagen gar nichts zur Verteidigung oder Ausweitung von Mitbestimmung.« Sowohl der US-New Deal der 1930er Jahre als auch andere Konzepte eines »geordneten Kapitalismus«, »unterschätzten den Staat, der als neutraler Akteur galt, nicht als Moderator der Kapitalfraktionen« und hätten die Verfügung der Unternehmen über die Produktionsmittel nie ernsthaft infrage gestellt. »Eine sozialistische Wirtschaftspolitik kann auf diesen Schritt nicht verzichten, sie muss eine Transformation über den Kapitalismus hinaus benennen. Antifaschistische Wirtschaftspolitik hingegen kann bei der liberalen Verteidigung des Marktes gegen die Monopole innehalten«, man solle beide Konzepte nicht verwechseln.
Stephan Kaufmann hat ebenfalls einen Einwand gegen die »Ökonomen-Antifa« formuliert, deren Vorschläge in zwei Richtungen zielen: Erstens den Menschen soziale Sicherheit geben und zweitens verstärkte Kontrollmöglichkeiten zu eröffnen, um Ohnmachtsgefühlen entgegenzuwirken. Damit würde allerdings »noch nicht die Quelle der sozialen Verunsicherung angegangen: der Markt selbst und seine Konjunkturen. Um soziale Sicherheit zu schaffen, muss die Marktlogik vielmehr durch eine Gemeinwohlorientierung ersetzt oder zumindest abgemildert werden.«
Inva Halili und Jule Nagel meinen, »antifaschistische Strategien müssen daher über den ›Schutz der Brandmauer‹ hinausgehen und regionale sowie Ost-West-Unterschiede, den industriellen Abbau und soziale Kämpfe um bessere Löhne und wirksame Mitbestimmung – wie sie etwa Gewerkschaften führen – gezielt aufgreifen. Ob eine ›antifaschistische Wirtschaftspolitik‹« dabei ausreiche, sei »fraglich. Wahrscheinlich kann sie nur ein Teil einer umfassenderen Strategie sein.« Vorgeschlagen wird alsdann eine »Drei-plus-Strategie«: »Erstens den Kampf um Demokratie, zweitens einen linken Kulturkampf, drittens einen sozialen Antifaschismus – ergänzt um eine spezifische Ost-Perspektive.«
Bisweilen deutet sich ein Trend an, das Adjektiv mit weiteren Politikbereichen zu verknüpfen. So ist zum Beispiel hier von einer »Antifaschistischen Rentenpolitik« die Rede. Karla Hildebrandt und Lukas Warning halten die Stoßrichtung der »antifaschistischen Wirtschaftspolitik« für zu begrenzt und wollen eine »Perspektive jenseits des Kapitalismus«.
Planetares Paradigma
Die systemtranszendierende Latenz eines beträchtlichen Teils der im Umfeld der Linkspartei geführten Debatte entspringt sicher dem Wunsch, in einem historischen Sprung aus den beklagten Verhältnissen und den aus ihnen resultierenden Widersprüchen einfach herauszutreten. Dass diese in den hier aufgeführten Texten eher »klassisch« interpretiert werden, also durch die Brille der alten sozialen Frage«, sollte deutlich geworden sein. Dabei kann es aber nicht bleiben.
Oliver Weber der einen der klügsten Texte über die gegenwärtige »Krise ohne Alternative« geschrieben hat, kommt auf ein Problem zu sprechen, das auch in der hier auszugsweise skizzierten Debatten eine Rolle spielt: Die »Krise wird gesehen und von Wahl zu Wahl in noch dunkleren Farben gemalt, aber die diskutablen ›Alternativen‹ bewegen sich, wenn sie nicht völlig abstrakt bleiben, nichtsdestotrotz weiterhin beinahe vollständig im Rahmen des Status quo.« Die in ihr agierenden Kräfte waren »mit der gesellschaftlich-politischen Grundverfassung derart verwachsen (…), dass eine Alternative schlichtweg nicht reell vorstellbar war«.
Eine Alternative in dem Sinne Webers müsste also einerseits viel weiter gehen als das, was derzeit oft in den Debatten angeboten wird. Das kann man vielen Texten der im Umfeld der Linkspartei geführten Diskussionen durchaus attestieren. Es müsste eben auf eine andere politisch-ökonomische Formation hinauslaufen.
»Alternativ« wäre eine solche aber nur, wenn sie nicht die selben Probleme wie die bisherige bereitet: die Kosten der angestrebten Veränderungen externalisiert, über planetare Grenzen hinauswuchert usw. Denn Webers Satz, »alles wird schlimmer – aber alles muss auch ungefähr so weiterlaufen, wie es jetzt läuft«, illustriert ja nicht nur die Paradoxie des Demokratie-Krisendiskurses; er beschreibt auch ein bisher ungelöstes Problem der Planetaren Krise.
Wenn man diese als eine Hauptantriebskraft für die Stärke der radikalen Rechten (und in diese Richtung partiell tendierenden andere populistischen Parteien) sieht, verändert sich auch das Panorama der Antworten. Das muss gar nicht als Alternative zu einer »antifaschistischen Wirtschaftspolitik« in Stellung gebracht werden, die in den Kategorien der alten sozialen Frage denkt – diese ist ja nicht verschwunden. Sie wird aber von einer neuen, der planetaren Frage überwölbt. Wie man den Aufstieg rechtsradikaler Kräfte vor allem auf die wohlstandschauvinistischen Abwehr von Veränderungen beziehen kann, wie die Transformationskonflikte als Kulturkämpfe aufgeladen und auf diese Weise blockiert werden, ist unter anderem hier skizziert worden.
Die Position ist auch nicht neu. Nur ein Beispiel: Im Mai 2002 trafen sich 15 Linke vorrangig der 1930er, 1940er, 1950er und 1960er Jahrgänge um »Unterhaltungen über den Sozialismus nach seinem Verschwinden« zu führen. Mit dabei die Frigga und Wolf Haug, Frank Deppe, Peter von Oertzen, Christoph Türcke, Frieder Otto Wolf, Christoph Spehr und andere. Man traf sich, um ziemlich Konkretes zu besprechen, ohne den Irrtum zu begehen, dies lasse sich ohne das Abstrakte erfolgreich tun: Es ging um die damals laufende Programmdebatte der PDS. (Und also um dieselben Fragen, die oben auszugsweise vorgestellt wurden – nur sind die Sprecherrollen heute anders und zu Gunsten neuer Generationen verteilt.)
Die Runde gab sich unter anderem einen entscheidenden Ausgangspunkt: »Richtungsweisend ist schließlich das marxsche Postulat, dass keine Klasse, keine Nation, noch nicht einmal alle Nationen zusammen das Recht haben, sich als Eigentümer der Erde, der Lebensgrundlage der heutigen und künftigen Menschen aufzuführen; sie sind nur die vorübergehenden Besitzer, die die Pflicht haben, sie den kommenden Generationen verbessert zu hinterlassen. Anders als Marx dachte, ist die Einlösung all dieser Sätze heute in utopische Ferne gerückt. Angesichts der Verhältnisse scheint es wachsamen Beobachtern, dass die liberale Demokratie in ihren westlichen Stammländern noch nie so gefährdet war wie heute (Derrida) und dass insgesamt das Überleben der Menschheit selbst zur Utopie geworden sei (Biedenkopf).«
Und auch seinerzeit war das keine Neuigkeit. Die Tatsache gestörter Naturverhältnisse hat spätestens seit den 1970er Jahren prägend auf programmatische Diskussion wie Organisationsformen der Linken eingewirkt. Reinhard Olschanski hat den damit verbundenen Paradigmenwechsel 2020 in den »Blättern« auf den Punkt gebracht: »Die Antworten auf die soziale Frage fußten auf einer Kritik an modernen Produktionsverhältnissen. Es ging vor allem um systemisch vermittelte Ausbeutungsbeziehungen zwischen Mensch und Mensch. Die neue ökologische Problemanzeige richtete sich dagegen direkt auf die technologische Basis, mittels derer sich die Auseinandersetzung zwischen Mensch und Natur vollzieht. Es ging um den Raubbau an der Natur und die Vergiftung der Umwelt, die aus der Anwendung nicht umweltschonender Technologien und Produktionsverfahren und einem insgesamt nicht nachhaltigen Leben und Wirtschaften folgten – und die nun spürbar auf die Menschen zurückschlugen. Technologie und materiell-stoffliche Abläufe von Produktion und Konsumtion wurden damit nicht länger als neutral und alternativlos hingenommen, sondern erschienen ihrerseits als etwas Kritisierbares.«
Und weiter: »Auch wenn das ökologische Paradigma nicht mehr unmittelbar von den materiellen Notlagen her formuliert wurde, um die herum im 19. Jahrhundert die soziale Frage aufkam, so ist es deshalb doch keinesfalls etwas leichtgewichtig ›Idealistisches‹. Insofern es die materielle Mensch/Natur-Beziehung in den Mittelpunkt rückte und die menschliche Bearbeitung der Natur und den Menschen als Teil des Ökosystems thematisierte, ist es sogar ›materialistischer‹ als das soziale Paradigma. Letzteres unterschätzte die Mensch/Natur-Beziehung in ihrem Eigengewicht und fasste sie vorrangig nur in ihrer Vermittlungsdimension für die Mensch/Mensch-Beziehung. (…) Aber gleichzeitig ist das ökologische Paradigma auch kein Klassenparadigma mehr. Es bringt nicht so wie der frühe Liberalismus den Standpunkt eines aufstrebenden Bürgertums zum Ausdruck. Es ist auch kein konservatives Reaktionsprodukt der Feudalklasse auf die bürgerliche Revolution. Und es ist keine Klassenideologie einer Arbeiterschaft im Kampf mit einem bourgeoisen Interessenbürgertum.«
Man muss mit Olschanskis dann folgenden Schlussfolgerungen nicht übereinstimmen; Tatsache und Bedeutung des »ökologischen Paradigmas« für grundlegende Überlegungen – siehe Pauschs unerfüllte Erwartung – dürften aber unbestreitbar sein.
In den »Unterhaltungen über den Sozialismus nach seinem Verschwinden« spricht Haug von einem »dritten Imperativ« der Linken: »Das wichtigste Fernziel, das Zusammenleben von Menschen betreffend, ist die Verknüpfung von Solidarität mit Freiheit, wie sie im ›Manifest‹ formuliert ist. Das Ziel im Blick auf die gesellschaftlichen Naturverhältnisse aber ist es, den »Stoffwechsel zwischen Mensch und Erde (…) systematisch als regelndes Gesetz der gesellschaftlichen Produktion und in einer der vollen menschlichen Entwicklung adäquaten Form herzustellen«. (Diese Formulierung findet sich im »Kapital« kurz vor der berühmten Passage, in der davon die Rede ist, dass die kapitalistische Produktion »die Springquellen alles Reichtums untergräbt: die Erde und den Arbeiter«.) Beide Ziele überschreiten zwar die Schranken kapitalistischer Vergesellschaftung, aber man muss auch wissen, wo man gerade steht: »Wir sind welthistorisch Ernüchterte. Unsere Hände sind leer, was eine realisierbare und mehrheitsfähige Systemalternative angeht. Eher rufen wir all diejenigen zu gemeinsamem Handeln, die wie wir mit Walter Benjamin einsehen: ›Dass es so weitergeht, ist die Katastrophe‹.«
Aus dem Fernziel ist gewissermaßen die drängendste aller Tagesaufgaben geworden. Das kann man auch als Antwort auf Pauschs Fragen lesen, worin die Defensive vor allem besteht, und es gibt vielleicht auch einen möglichen Hinweis darauf, ob »man sich die falschen Kämpfe ausgesucht« hat.